Pressemitteilung des Augsburger Klimacamps am 22.7.2024
Klimacamp: Aufbruchstimmung bei Klimaaktivist*innen
Die Augsburger Klimagerechtigkeitsbewegung schaut nach mehr als vier Jahren Dauerprotest nach vorne.
Am 31. Juli 2024 wird das Klimacamp Augsburg nach über vier Jahren Dauerprotest (1492 Tagen) am Fischmarkt abbauen und sich zu einem Pop-up-Klimacamp wandeln. Dazu blicken die Aktivist*innen zurück auf ihre Erfolge und nach vorne in die Zukunft. Die Veränderung fällt zusammen mit der Sperrung des Rathauses, wodurch die Stadtpolitik aus dem Rathaus auszieht und sich auf verschiedene Gebäude im Stadtgebiet verteilt [D1]. Entsprechend kündigen die Aktivist*innen an, die Energie, die sie bislang in den 24/7-Betrieb des Camps investierten, zukünftig für dezentrale Pop-up-Klimacamps und andere Aktionen zu nutzen – immer dort, wo aus ihrer Sicht klimapolitisch etwas falsch läuft.
„Durch uns war die Klimapolitik an jedem Esstisch Augsburgs Thema“, resümiert Softwareentwicklerin Stefanie Metzger (30). „Egal, ob Familien mit Kindern, Rentner*innen oder Feiernde von der Maxstraße, wir haben tausende Passant*innen über die städtische Klimapolitik aufgeklärt. Wir haben vier Jahre lang einen sehr präsenten Ort aufrechterhalten, der viel Projektionsfläche geboten hat für die Hoffnungen von Menschen, aber auch für Ängste und Wut. Bei −15°C, Starkregen, Stürmen, egal ob Weihnachten oder Prüfungszeit, rund um die Uhr ohne Unterbrechung. Nun wird viel Energie für zukünftige Aktionen frei.“
Aufklärungsbedarf in Sachen Klimagerechtigkeit sehen die Aktivist*innen auch weiterhin: Wie die städtische KlimaKom-Studie etwa im Hinblick auf den Verkehrsbereich bestätigt, „hat die Stadt […] durch die Stadtplanung große Einflussmöglichkeiten, um eine Verkehrswende einzuleiten“ [K1, Seite 6]. Die StVO-Novelle vom Juni und Juli 2024 hat diesen Spielraum sogar noch vergrößert [S1,S2,S3]. „Die Stadt soll ihren Gestaltungsspielraum nutzen, anstatt die Verantwortung für klimabewusstes Verhalten vorrangig auf Privatpersonen abzuwälzen, ohne aber die dafür notwendigen strukturellen Rahmenbedingungen zu schaffen“, so Elisabeth Englram (42), Fachärztin für Anästhesiologie. Dabei führt die Erdaufheizung dazu, dass immer mehr einschneidende Hochwasser- und Starkregenereignisse Augsburg und Umgebung heimsuchen [H1]. „Schicke Fotos in Einsatzjacke ersetzen keine Krisenpolitik. Es bringt nichts sich so zu inszenieren, aber die Rufe aus dem Klimacamp nach Veränderung zu ignorieren. Nach dem Motto: Die Feuerwehren werden uns schon helfen und retten, mit ihren Pumpen und Sandsäcken“, so Antonie Gruber (23), Arboristik-Studentin und Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr. Oberbürgermeisterin Eva Weber war in den mehr als vier Jahren nur einmal zu Besuch im Klimacamp: In der ersten Woche, um ihre Räumungsabsicht kundzutun, mit der sie letztlich vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof scheiterte.
„In der Anfangszeit fragten uns immer wieder Menschen nach Belegen zur Erdaufheizung“, so Markus Krottenmüller (35), Physiker. „Nach und nach erhielten wir dagegen immer mehr Rückenwind.“ Dieser Eindruck der Aktivist*innen wird von einer Studie des Umweltbundesamts gestützt, der zufolge sich mehr als 90 % der Befragten eine umwelt- und klimafreundliche Wirtschaft wünschen [U1] (zum Erhebungszeitpunkt der Studie siehe PDF-Seite 37; Zeit hoher Aktivität der Letzten Generation und starker Kriminalisierungsrhetorik gegenüber Klimaaktivismus).
Konkrete politische Erfolge
Das Klimacamp blickt auf politische Erfolge zurück, die die Initiator*innen selbst nicht für möglich gehalten hatten. In den vier Jahren des Bestehens wurden viele Forderungen und Aktionen unter maßgeblicher Beteiligung des Klimacamps erfolgreich auf den Weg gebracht, etwa der Augsburger Radentscheid [J1], die Rettung des Forst Kasten [N1-N4] und der Beschluss eines CO₂-Restbudgets für Augsburg [C1].
Auch konkrete Erfolge wie die Rettung der Bäume beim Bahnhofsvorplatz (gemeinsam mit der Baumallianz) oder die Einberufung eines städtischen Bürger*innenrats in Klimafragen [B1], der auf die Bleibeverhandlungen zwischen Oberbürgermeisterin und Klimacamp zurückgeht, schreiben sich die Klimaaktivist*innen auf die Fahnen.
Demokratische Freiräume, die die aus juristischen Laien bestehende Rechtsabteilung des Klimacamps gerichtlich erstreiten konnte, kommen auch anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen zugute – wie etwa Fahrraddemos auf der B17 und anderen Bundesstraßen und Autobahnen [F1-F4] oder die Stärkung der Meinungsfreiheit durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf Klimacamp-Protest bei der Regierung von Schwaben [M1-M6].
Zahlreiche Ausgründungen aus dem Klimacamp
Zudem war das Klimacamp seit seiner Gründung ein wichtiger Anlaufpunkt für die Klimagerechtigkeitsbewegung in Augsburg, Bayern und auch deutschlandweit und diente erfolgreich zur Vernetzung. Nach Augsburger Vorbild wurden in ganz Deutschland in über 50 Städten weitere Klimacamps aufgebaut [A]. Außerdem geht die seit drei Jahren bestehende Besetzung des rodungsbedrohten Altdorfer Walds bei Ravensburg [W1] auf Interaktionen im ersten Campsommer zurück.
Durch das Zusammenkommen im Camp formten sich zahlreiche Gruppen zu spezifischen Themen, etwa eine Verkehrswende-Initiative (verkehrswende-augsburg.de), das neue Radlnacht-Bündnis (radlnacht-augsburg.de), das Quartier für Alle (qualle-augsburg.de), das mittlerweile in ganz Europa tätige Kochkollektiv Knoblauchfahne (Instagram knoblauch.fahne), das antikapitalistische Klimatreffen (klimatreffenaugsburg.org) oder das Oben-ohne-Kollektiv [O1,O2].
„Wir ermutigen alle Interessierten, sich mit uns zu engagieren und selbst Aktionen durchzuführen. Dabei unterstützen wir gerne mit unserer Erfahrung“, lädt Softwareentwickler Felix Strobel (32) ein. Die wöchentlich stattfindenden 15-minütigen Verkehrswende-Demos machen vor, wie das aussehen kann. „Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich in Zukunft einzubringen und die Bewegung zu gestalten. Auf unserer Website werden wir zu Einstiegstreffen einladen und es gibt die Möglichkeit eine Fördermitgliedschaft abzuschließen, um weitere Aktionen zu finanzieren.“
Aktivist*innen nutzen politische Sommerpause
In Augsburg selbst wurden viele Leute dafür begeistert, sich politisch zu engagieren, haben sich zusammengefunden und inzwischen viel Erfahrung gesammelt. Daran planen die Aktivist*innen anzuknüpfen. Solches Engagement soll auch durch die Räumlichkeit begünstigt werden, welche die Stadt den klimaaktiven Gruppen zur Verfügung stellen wird. Dies wurde bereits 2022 vom Stadtrat beschlossen [R1], aber noch nicht umgesetzt.
Allerdings: „Wenn im August die Augsburger Lokalpolitik in die Sommerpause geht, ist in Augsburg wenig zu machen“, so Ute Grathwohl, (51), Hausfrau. „Daher werden sich viele von uns im August darauf konzentrieren, eine Bürgerinitiative in Reichling zu unterstützen. Die dortigen Bürger*innen versuchen, drohende Erdgasbohrungen eines von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hofierten kanadischen Großkonzerns zu verhindern [G1-G4]. Auch ein Teil der baulichen Campstrukturen wird dorthin umziehen.“
Der Teilumzug des Camps nach Reichling ist ein Ergebnis des Vernetzungstreffens, zu welchem Fridays for Future Augsburg die bayrische Klimagerechigkeitsbewegung am 13. Juli eingeladen hatte [V1,V2]. Zu dem Event waren Menschen aus dem Gebiet von Ulm bis Passau angereist. Fridays for Future sieht das Event auch wegen der dort gestarteten Kooperationen als großen Erfolg.
Wehmut gibt es auch
Am Ende bleibt bei den Aktivist*innen natürlich auch Wehmut. „Klar sind wir auch traurig, dass unser 24/7-Klimacamp ein Ende findet. Unser Camp war die längste Demonstration Augsburgs und eine der längsten in Europa überhaupt. Wir haben unser Camp unglaublich lieb gewonnen. Aber das Camp war nie Selbstzweck, sondern ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Nun widmen wir uns Mitteln, die wir während der Schließung des Rathauses für zielführender halten. Natürlich behalten wir uns vor, zusätzlich zu kurzfristigen Klimacamps wieder ein stationäres zu errichten, wenn wir ein solches wieder für am zielführendesten halten“, so Ingo Blechschmidt (36), einer der Initiator*innen des Klimacamps. „Entsprechend werden wir das Camp beim Ordnungsamt auch nur für unterbrochen und nicht für beendet erklären.“
Referenzen
[A] Klimacamps die durch das Augsburger Vorbild entstanden, gab oder gibt es in: Aachen, Bayreuth, Berlin, Bochum, Bremen, Bielefeld, Bamberg, Coburg, Düsseldorf, Dresden, Darmstadt, Erfurt, Erlangen, Essen, Freiburg, Göttingen, Halle Westfalen, Halle, Hamburg , Hannover, Heroldsberg, Heidelberg, Hochtaunuskreis/Bad Homburg, Karlsruhe, Kassel, Köln, Konstanz, Lübeck, Lüneburg, Mannheim, München, Neuruppin, Nürnberg, Oberhausen, Oldenburg, Osnabrück, Passau, Potsdam, Reutlingen, Rostock, Regensburg, Ravensburg, Saarbrücken,Schwäbisch Hall Siegen, Sinzig, Stuttgart, Tübingen, Trier, Ulm, Wolfsburg
[C1] https://ratsinfo.augsburg.de/bi/to020.asp?TOLFDNR=30051
[D1] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-klimacamp-zieht-ende-juli-um-102861289
[B1] https://fragdenstaat.de/anfrage/beteiligung-eines-reprasentativen-bevolkerungsquerschnitts-fur-klimaschutz/
[F1] https://web.archive.org/web/20210730000909/https://www.br.de/nachrichten/bayern/verbot-gescheitert-fahrraddemo-in-augsburg-erlaubt,SZSgnlV
[F2] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-drei-demonstrationen-sorgen-am-wochenende-fuer-behinderungen-in-augsburg-id62157911.html
[F3] https://www.schwaebische.de/regional/allgaeu/wangen/sind-autobahnen-der-richtige-ort-fuer-proteste-134709
[F4] https://www.schwaebische.de/regional/ulm-alb-donau/ulm/aktivisten-klagen-gegen-stadt-und-bekommen-recht-jetzt-wird-wieder-geklettert-2308793
[G1] https://www.br.de/nachrichten/bayern/klimakiller-proteste-gegen-erdgasbohrung-bei-landsberg,UFa8vP0
[G2] https://www.greenpeace.de/klimaschutz/energiewende/gasausstieg/kein-neues-gas-in-bayern
[G3] https://www.merkur.de/lokales/schongau/reichling-ort377073/reichling-der-protest-gegen-die-erdgasbohrungen-waechst-93171059.html
[G4] https://www.fantasy.de/news/reichling-wehrt-sich-gegen-erdgas-foerderung
[G5] https://www.sueddeutsche.de/bayern/reichling-landsberg-gas-onexco-bi-greenpeace-bund-naturschutz-proteste-bohrung-energie-lux.HyBad7Xjax8WrZLHZkfJzg
[H1] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-aus-vorhersagen-wird-realitaet-102891105
[J1] https://www.fahrradstadt-jetzt.de/
[K1] https://www.augsburg.de/fileadmin/user_upload/umwelt_soziales/umwelt/klima%20und%20energie/Studie_Klimaschutz_2030_Version_03_02_2022.pdf
[M1] https://www.br.de/nachrichten/bayern/verfassungsgericht-hebt-urteil-auf-klimaaktivist-kommt-frei,U94XcIL
[M2] https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/680/ein-urteil-fuer-die-meinungsfreiheit-9466.html
[M3] https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-verfassungsbeschwerde-klimaaktivist-klimaschutz-verurteilung-ueble-nachrede-meinungsfreiheit-samuel-bosch/
[M4] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/bundesverfassungsgericht-kippt-urtei-oberschwaebischer-klimaaktivist-kommt-frei-100.html
[M5] https://www.br.de/nachrichten/bayern/klimacamp-augsburg-fortbestand-in-eigenregie,U9WdirY
[M6] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-aktion-in-augsburg-verfassungsgericht-kassiert-urteil-gegen-klimaaktivisten-id70354226.html
[N1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-kiesabbau-vertragsaufloesung-1.5908656
[N2] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-umweltschuetzer-1.5331295
[N3] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/forst-kasten-neuried-amtsgericht-muenchen-klimaproteste-ingo-blechschmidt-1.6301572
[N4] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Augsburg-Eine-Nacht-in-der-Zelle-reicht-Warum-ein-Klimaaktivist-nicht-gegen-die-IAA-protestiert-id60502956.html
[O1] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-oben-ohne-demo-in-der-innenstadt-aufregung-wegen-nackter-brueste-id63482686.html
[O2] https://www.br.de/radio/live/bayern2/programm/2021-08-25/3100597/
[R1] https://www.csu-augsburg.de/politik/antraege-der-csu-fraktion/detail/antrag-dem-klimaschutz-raum-geben
[S1] https://www.adfc.de/neuigkeit/stvo-novelle-im-bundesrat-verabschiedet
[S2] https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/morgenmagazin/politik/Tempo-30-Entscheidung-im-Bundesrat-100.html
[S3] https://www.ardmediathek.de/video/morgenmagazin/tempo-30-entscheidung-im-bundesrat/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL21vcmdlbm1hZ2F6aW4vNTgwYWY5YjgtY2ExZi00NzkxLTk5NWEtOWQ2NGZiMzdkYmUy
[U1] https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/umweltbewusstsein-in-deutschland
[V1] https://www.fff-augsburg.de/veranstaltungen/2024-07-13-vernetzungstreffen/
[V2] https://fediscience.org/@gianluca_grimalda/112815125609647204
[W1] https://ravensburg.klimacamp.eu/