Am 29.01.2022 fragte Michael Hörmann in einem Artikel in der Augsburger Allgemeinen: „Wie lange hält das Klimacamp in Augsburg noch durch?“ Hier antwortet Ingo Blechschmidt auf diese Frage.

Sehr geehrter Herr Hörmann,

vielen Dank für Ihren ausführlichen Bericht „Wie lange hält das Klimacamp noch durch?“. Insbesondere die zeitliche Einordnung und aktuelle Einschätzung nahmen wir Aktivist*innen vom Klimacamp mit großem Interesse auf.

Wenn Sie uns näher und aus erster Hand kennenlernen möchten, laden wir Sie gerne zu einer losen Austauschrunde zu uns ins Klimacamp ein. Vielleicht möchten Sie auch einen unserer Abendvorträge besuchen, gerade für unsere Presseworkshops wären Sie sicherlich eine tolle Bereicherung!

Das Klimacamp wird von einem großen Unterstützer*innenkreis getragen. Die Altersspanne umfasst nicht nur Schüler*innen und Studierende: Augsburg*innen aller Altersgruppen übernehmen freiwillig Aufgaben wie die Betreuung der Webseite oder das Verfassen unserer Pressemitteilungen. Mit professionellen Kommunikationsstrateg*innen stehen wir indes nicht in Kontakt. Dass Sie diesen Eindruck gewinnen konnten, empfinden wir als großes Kompliment für die Qualität unserer Arbeit. Die über 19 Monate hinweg gesammelte Erfahrung hat sicherlich dazu beigetragen. Kompetente juristische Beratung nehmen wir tatsächlich in Anspruch, um uns gegen die Nachstellungen der Stadt zu behaupten. Pro Monat erreichen uns nämlich zahlreiche Bescheide von Ordnungsamt und Staatsschutz, deren Bearbeitung viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt, bevor sie im Regelfall vor Gericht dann doch wieder kassiert werden.

Auf die in der Artikelüberschrift gestellte Frage ist unsere Antwort: Noch lange!

Als Mitinitiator des Klimacamps, der schon viele Phasen des Protests miterlebte, kann ich nämlich feststellen: Die Klimagerechtigkeitsbewegung in Augsburg ist so stark wie nie zuvor. Sie vermochte es, über zwei Winter und mehr als 570 Tage hinweg das Klimacamp als zentralen Protest-, Einfluss- und Freiraum zu betreiben. Mit der Wiederaufnahme der universitären Präsenzlehre wurden auch die Students for Future wieder aktiv und zählen jetzt mehr Mitglieder zu ihren Reihen als vor der Pandemie. Mit einem Minimum an Vorlaufzeit organisierten diese mit der Public Climate School eine öffentliche Vortragsreihe, zu der sie zahlreiche namhafte Wissenschaftler*innen gewinnen konnten, und haben für das kommende Jahr viele Projekte in Aussicht. Es waren auch wir von der Augsburger Klimagerechtigkeitsbewegung, die zusammen mit anderen das Bündnis „Augsburg Solidarisch“ gründeten, um den Corona-„Sparziergängen“ Gegendemonstrationen unter dem Motto „geradeaus denken – hört auf die Wissenschaft!“ entgegenzusetzen.

Früher kannten wir nur eine Aktionsform: die großen Schulstreiks fürs Klima. Die sind pandemiebedingt aktuell nicht das Mittel der Wahl, weswegen wir ihre Anzahl auch deutlich reduzierten. Aber immer noch nutzen zahlreiche Augsburger*innen diese Streiks, um ihren Protest an der Klimapolitik des Verschleppens und Abwartens auszudrücken: Beim letzten Globalstreik, am Freitag vor der Bundestagswahl, folgten 5.000 Augsburger*innen unserem Aufruf.

Der große Zeitdruck, den die physikalischen Gegebenheiten der Klimakrise herstellen, erfordert aber, dass wir über die Demonstrationszüge hinaus weitere Aktionsformen einsetzen. Die gab es in der Anfangszeit von Fridays for Future kaum und sind der beste Indikator dafür, wie sehr wir uns weiterentwickelten.

Wenn in Augsburg und Umgebung mal wieder Bäume oder ganze Wälder der Zerstörungswut der Politiker*innen und Konzerne weichen sollen und uns diesbezüglich Bürger*inneninitiativen um Hilfe bitten, sind wir diejenigen, die diese nach dem Vorbild des Hambacher Forsts besetzen und so mit unseren Körpern verteidigen. Die mehrmonatige Besetzung des Forsts Kasten bei München ging auf unsere Initiative zurück. [1,2,3,4,5]

Wenn – auch aufgrund des Augsburger Kohlestrombezugs – Menschen enteignet, Kirchen entweiht und Dörfer abgerissen werden, um wie aktuell in Lützerath Platz für eine Kohlegrube zu machen, die jetzt schon einer Marslandschaft der Größe von fast halb Augsburg gleicht, sind wir diejenigen, die friedlich die dortige Kohleinfrastruktur blockieren.

Wenn die CSU ihren Wähler*innen christliche Werte vorgaukelt, zugleich aber eine illegale Maskenprovision nach der anderen einstreicht, sind wir es, die den Balkon ihres Wahlkreisbüros oder die Kräne der illegalen Baustellen von Georg Nüßlein erklettern und mit aufklärenden Bannern versehen. [6,7]

Und wenn die Stadt die ausführlichen Protokolle unseres wichtigsten kommunalen Gremiums, dem Augsburger Stadtrat, unter Verschluss hält und sich nicht nur über die Empfehlungen der Bürger*innenversammlung, sondern auch dem dringenden Rat der von ihr selbst in Auftrag gegebenen KlimaKom-Studie hinwegsetzt, sind wir es, die die Sitzungen besuchen, eigene Protokolle anfertigen, diese der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und vor allem: immer wieder nachhaken. Sowohl wenn die Stadt weiter an fatalen Fehlinvestitionen in klimaschädliche Konzerne wie Bayerngas festhält, die trotz Klimakrise aktiv die Nordsee nach neuen Erdgasquellen absuchen, als auch, wenn sie alle sechs Monate Bus und Tram durch weitere Preiserhöhungen stetig unattraktiver macht. [8]

Der nächste Globalstreik, auf den wir wieder umfassend aufmerksam machen werden, findet am 25. März statt. Die Jubiläumskundgebung von Fridays for Future bewarben wir dagegen kaum. Natürlich ist es immer schön, wenn mehr Gäste zu einer Geburtstagsfeier kommen, aber die zentrale politische Veranstaltung war eben nicht die Feier, sondern der vorausgehende Globalstreik. Der Entschluss zur sonntäglichen Fahrraddemo fiel übrigens äußerst kurzfristig am Donnerstag. Nötig wurde sie nur, da unser im Vergleich zu anderen Kommunen besonders versammlungsfeindliches Ordnungsamt an eben jenem Donnerstag eine lange im Voraus geplante Abseilversammlung für den Sonntag untersagte.

Sie haben ganz recht: Wir müssen so schnell wie möglich unseren alten Platz in Sichtweite der Augsburger Stadtpolitik wieder einnehmen. Es ist einfach etwas anderes, ob wir um die Ecke stehen oder vor jeder Stadtratssitzung und jedem Ausschuss den Politiker*innen auf dem Weg ins Rathaus ins Auge stechen. Denn unser Protest ist nötig. Das zeigt nicht zuletzt der letzte Bericht vom Weltklimabeirat oder das Abstimmungsverhalten der Stadtregierung. Die Erdaufheizung ist schon jetzt spürbar und verursacht in zahlreichen Gebieten großes Leid. Für unseren Aktivismus verzichten wir auf Freizeit und vernachlässigen Beruf und Freundeskreis, gewinnen aber auch neue Freund*innen – und kämpfen: So vieles, das wir heute für selbstverständlich halten, wird es in Zukunft nicht mehr geben.

Wir freuen uns, Sie persönlich kennenzulernen!

Viele Grüße Ingo Blechschmidt

[1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-umweltschuetzer-1.5331295
[2] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-baeume-aktivisten-polizei-1.5327554
[3] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-baumbesetzer-1.5297147
[4] https://www.br.de/nachrichten/bayern/klimaaktivisten-besetzen-waldstueck-im-sueden-von-muenchen,SXmRlda
[5] https://www.br.de/nachrichten/bayern/aktivisten-bauen-baumhaeuser-in-forst-kasten-polizei-vor-ort,SZpMd7c
[6] https://www.augsburger-allgemeine.de/krumbach/Landkreis-Guenzburg-Aktivisten-greifen-mit-Banner-Nuesslein-und-CSU-an-Was-steckt-dahinter-id60323906.html
[7] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Augsburg-Feuerwehr-rueckt-wegen-Klimacamp-Aktivisten-mit-Drehleiter-an-id59878656.html
[8] https://augsburg.klimacamp.eu/protokolle/