Pressemitteilung am 13.6.2023

Nachdem Anwalt verhindert war:

Augsburger Amtsgericht veranlasst bundesweite Fahndung nach Ravensburger Klimaaktivist*innen

Immer wieder nutzen Klimaaktivist*innen Charlie Kiehne (21) und Samuel Bosch (20) aus dem besetzten Altdorfer Wald bei Ravensburg Gerichtsverhandlungen, um dort ihre symbolischen Aktionen zu erklären und weitere Öffentlichkeit für Missstände in der Politik zu schaffen. Heute hätten sie wegen einer Protestaktion zu einer umstrittenen Waldrodung vor dem Augsburger Amtsgericht stehen sollen. Da ihr Anwalt Klaus Schulz aufgrund eines anderen Prozesses verhindert war und die beiden daher nicht kamen, erließ das Gericht kurzerhand einen Haftbefehl. Sobald die beiden aufgegriffen werden, kommen sie bis zu einem Folgetermin für mehrere Wochen in Haft.

MIT SYMBOLISCHEN AKTIONEN FÜR KLIMAGERECHTIGKEIT

Kiehne und Bosch aus dem besetzten Altdorfer Wald bei Ravensburg engagieren sich seit mehreren Jahren in ihrer Freizeit ehrenamtlich für Klimagerechtigkeit und machen dazu immer wieder symbolische Aktionen. Etwa haben sie schon mehrmals Essen aus Supermarktmülltonnen gerettet und am Folgetag öffentlich verschenkt; dafür standen sie wegen „Diebstahl“ vor Gericht [1,2,3,4]. Oft werden Verfahren gegen die beiden eingestellt, manchmal gibt es sogar Freisprüche, meistens leisten sie Sozialstunden ab, etwa bei Vereinen wie Foodsharing [5].

Am heutigen Dienstag (13.6.2023) wäre es um eine symbolische Protestaktion bei der Regierung von Schwaben gegangen. Gemeinsam mit dem Augsburger Klimaaktivisten Ingo Blechschmidt (34), der kürzlich auch Betroffener der umstrittenen bundesweiten Razzia war [6,7], kreideten die beiden das Vorgehen der Regierung von Schwaben an [8]: Binnen nur zehn Tagen hatte diese eine Ausnahmegenehmigung erteilt [9,10,11], die eine vorgezogene Teilrodung eines rechtlich besonders geschützten Bannwalds bei Meitingen bewilligte – obwohl gegen diese Rodungspläne noch an Bayerns höchstem Verwaltungsgericht Verfahren von angrenzenden Gemeinden und dem BUND Naturschutz anhängig waren.

Als Strafe für die Aktion stehen Sozialstunden oder eine Geldstrafe im Raum. So wurde Blechschmidt in derselben Sache zur Zahlung von etwa 2.500 Euro verurteilt [12].

ANWALT VERHINDERT – BUNDESWEITE FAHNDUNG

Auch heute wollten Bosch und Kiehne vor Gericht wieder ihre Aktion erklären. Doch dazu kam es nicht: Ihr Verteidiger Klaus Schulz aus Ravensburg war verhindert. Zweimal bat er das Gericht aus diesem Grund um eine Terminverschiebung – vergeblich. Zudem reagierte das Gericht auf die vor jedem Verfahren übliche Beantragung der Akteneinsicht zunächst gar nicht, nach erneuter Anfrage dann unter Verweis auf Zeitnot sogar ablehnend.

Ohne Anwalt wollten Bosch und Kiehne heute aber nicht das Verfahren antreten – und blieben daher der Verhandlung fern. Nachdem sie auch 15 Minuten nach Beginn nicht erschienen waren, beantragte die Staatsanwaltschaft Haftbefehl nach § 230 StPO, was die Richterin sofort bestätigte.

„Dem Gericht ist es offensichtlich egal, wenn sich die beiden Klimaaktivist*innen ohne Anwalt verteidigen müssen. Das ist nicht meine Auffassung von einem fairen Gerichtsprozess“, kommentiert Kiki Köffle (19, Konstanz), eine Freundin von Samuel Bosch, das Vorgehen des Augsburger Amtsgerichts.

Schulz gab telefonisch an, dass er in seiner langjährigen Erfahrung als Rechtsanwalt ein solches Vorgehen noch nie erlebte. Üblich sei zunächst, dass bei anwaltlicher Verhinderung im Vorfeld ein neuer Termin vereinbart werden würde. In Fällen, in denen zwar der Anwalt, aber nicht der Angeklagte erscheint, werde auch zunächst ein neuer Termin anberaumt. In besonderen Fällen wird ein Vorführungsbefehl erlassen, sodass die Polizei einige Stunden vor dem neuen Verhandlungstermin den Angeklagten abholt. Noch nie habe Schulz erlebt, dass direkt ein Haftbefehl erlassen wurde.

NEHMEN PERSÖNLICHE NACHTEILE IN KAUF

Unterstützerinnen von Bosch und Kiehne erklärten: „Als Klimaaktivistinnen nehmen wir immer wieder persönliche Nachteile in Kauf, um zu erreichen, dass die Bundesregierung das demokratisch beschlossene Pariser Klimaabkommen und ihr eigenes Klimaschutzgesetz einhält. Unverhältnismäßige Übergriffe der staatlichen Behörden bringen Bürger*innen immer wieder zum Nachdenken. Wann hören wir auf, Natur und Menschen auszubeuten, und wann überwinden die zerstörerische Wachstumsideologie?“

Auch Bosch und Kiehne gaben an, sich trotz des nun beschlossenen Haftbefehls weiter für Klimagerechtigkeit engagieren zu wollen.

REFERENZEN

[1]https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/597/diebe-oder-wohltaeterinnen-8401.html

[2]https://www.suedkurier.de/region/bodenseekreis/bodenseekreis/umweltaktivisten-vor-gericht-wegen-diebstahls-von-lebensmitteln;art410936,11206300

[3]https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/klimaaktivist-amtsgericht-ravensburg-sozialstunden-baumbesetzung-100.html

[4]https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/gerettete-lebensmittel-ravensburg-prozess-100.html

[5]https://www.diebildschirmzeitung.de/diebildschirmzeitung/landkreis-ravensburg/11127-aktivist-innen-nehmen-strafe-im-essen-retten-prozess-an

[6]https://www.br.de/nachrichten/bayern/razzia-bei-letzter-generation-das-sagt-ein-beschuldigter,TfB6J4D

[7]https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-razzia-bei-der-letzten-generation-wer-ist-ingo-blechschmidt-aus-augsburg-id66599826.html

[8]https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg-land/augsburg-meitingen-klima-aktivisten-nehmen-regierung-von-schwaben-aufs-korn-id64382891.html

[9]https://www.br.de/nachrichten/bayern/lech-stahlwerke-sorgen-mit-bannwald-rodung-fuer-kritik,TLBZdnV

[10]https://www.br.de/nachrichten/bayern/naturschuetzer-klagen-gegen-bannwaldrodung-bei-lech-stahlwerken,TJa04mR

[11]https://www.br.de/nachrichten/bayern/bannwald-rodung-bei-stahlwerken-vor-gericht,TQRhKFH

[12]https://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburg-regierungsgebaeude-besetzung-blechschmidt-1.5763823

RECHTLICHER HINWEIS

Da es sich nicht um ein Urteil, sondern um einen Beschluss handelt, entfaltet die Verfügung des Amtsgerichts sofort Wirkung. Urteile werden dagegen erst nach Ablauf von Fristen rechtskräftig. Gegen den Beschluss wird Verteidiger Klaus Schulz Beschwerde einlegen, doch bis das Amtsgericht diesem abhilft oder das Landgericht den Beschluss aufhebt, kommen Bosch und Kiehne sofort in Haft, wenn diese aufgegriffen werden.

Es ist gesetzlich vorgesehen, dass zeitnah ein neuer Verhandlungstermin angesetzt wird, sobald Bosch und Kiehne inhaftiert sind. So könnten Bosch und Kiehne mehrere Wochen im Gefängnis verbringen.