Pressemitteilung vom Augsburger Klimacamp am 31.12.2022

Klimacamp Augsburg: Zukunft des Camps

„Heute treffen wir die Entscheidung, das Klimacamp nach 2½ Jahren abzubauen.“ Mit diesen Gedanken und gemischten Gefühlen gingen viele von Augsburgs Klimacamper*innen am gestrigen Freitag (30.12.2022) in ihr basisdemokratisches Zukunftsplenum. Mitte Januar werden nämlich große Teile der Augsburger Klimagerechtigkeitsbewegung in Nordrhein-Westfalen das bedrohte Dorf Lützerath verteidigen: Dieses soll abgebaggert werden, um einem Braunkohletagebau zu weichen. Die umstrittene polizeiliche Räumung des besetzten Dorfs kann Wochen oder Monate andauern. „Vom „Wallfahrtsort“ zum Einsatzort“ titelte die Tagesschau [1]. Daher hatten die Aktivist*innen Zweifel, wie sie Verteidigung und Campbetreuung kombinieren sollen. Doch mit neuen Impulsen geht es vorerst weiter. Die seit 1. Juli 2020 bestehende Dauerversammlung auf dem Fischmarkt neben dem Rathausplatz wird auch über ihren 913. Tag hinaus im Jahr 2023 weiterbestehen.

DANK NEUER UNTERSTÜTZER*INNEN: KLIMACAMP BESTEHT WEITER

In mehreren offenen Plena wurde diskutiert, wie ein mögliches Ende des Klimacamps aussehen könnte. Mit den erzielten Erfolgen könnte man erhobenen Hauptes abziehen, das Klimacamp hat die politische Landschaft in Augsburg über die letzen zweieinhalb Jahre verändert.

  • Die Stadt übernahm das vom Klimacamp geforderte Restbudget von 9,7 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten als Richtwert.
  • Auch die vom Klimacamp geforderte Solarpflicht für Neubauten wurde vom Stadtrat beschlossen, wenn auch mit zahlreichen Ausnahmen.
  • Das Aktionsbündnis „Fahrradstadt jetzt“ aus mehreren Organisationen mündete erfolgreich in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der Stadt.
  • Zahlreiche Initiativen und Gruppen gründeten sich am Klimacamp oder mit Hilfe des Klimacamps, nicht zuletzt die Dauerbesetzung im Altdorfer Wald bei Ravensburg und der erfolgreiche Protest gegen die Rodungspläne der Stadt München beim Forst Kasten.
  • Über mehr als 900 Tage lenkte das Camp die Aufmerksamkeit von Passant*innen auf Klimagerechtigkeit. Die Klimacamper*innen führten zahlreiche aufklärende Gespräche zur, wie sie es bezeichnen, Überforderung des Augsburger Stadtrats in Klimafragen, etwa dass der motorisierte Individualverkehr in Augsburg seit vielen Jahren kontinuierlich zunimmt. In Vorträgen von Wissenschaftler*innen und Workshops bildeten die Klimaaktivist*innen sich und die interessierte Öffentlichkeit weiter.

Auch wurde in den Plena erörtert, worin die Vorteile und Funktionen des Klimacamps bestehen [2]. Das Klimacamp stehe und falle jedoch mit ehrenamtlichen Engagement, so Ingo Blechschmidt (34) vom Klimacamp. Man war sich einig, dass in den letzten Wochen das Wirken des Klimacamps weit hinter seine Möglichkeiten zurückgefallen war. Es stellte sich die Frage, ob nicht andere Aktionsformen effektiver durchzuführen wären.

„Am 1. Juli 2020 errichteten wir wegen völlig unzureichender Maßnahmen zum Kohleausstieg das Klimacamp“, erinnert sich Blechschmidt. „Diesen Dezember sah es eine Zeit lang danach aus, dass wir es aus demselben Grund beenden würden… um uns der Verteidigung Lützeraths anzuschließen. Beide Male sollten Fakten mit weitreichenden katastrophalen Folgen geschaffen werden. Dem können wir nicht tatenlos zusehen.“

LÜTZERATH IST FÜR DIE KLIMAGERECHTIGKEITSBEWEGUNG BESONDERS BEDEUTSAM

Aus ganz Deutschland strömen derzeit Klimagerechtigkeitsaktivist*innen in das nordrhein-westfälischen Dorf Lützerath. Aktuell hält sich bereits eine dreistellige Zahl Klimaaktivist*innen in dem Ort auf. Auch große Teile der Augsburger Klimagerechtigkeitsbewegung schließen sich dem Protest an. Denn im Januar steht die von der Bundes- und Landesregierung zu verantwortende Räumung von Lützerath an, wobei sich verfassungsrechtliche Fragen noch in Klärung befinden [3]. Der Energiekonzern RWE möchte den angrenzenden Tagebaus Garzweiler II durch das Abbaggern von Lützerath vergrößern. Damit soll die Förderung und Verbrennung der unter dem Ort liegenden Braunkohle ermöglicht werden. Das Problem: Unter dem Ort liegt zu viel Braunkohle. Ihre Verbrennung käme einer Aufgabe der 1,5°C-Grenze gleich.

„Vor Lützerath verläuft die 1,5-Grad-Grenze“, erklärt Julius Natrup (35) vom Augsburger Klimacamp, wieso Lützerath großen Teilen der deutschen Klimagerechtigkeitsbewegung so besonders wichtig ist. In der Tat kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung [4] zum Schluss, dass Deutschlands Rest-CO₂-Budget auf jeden Fall deutlich überschritten werden würde, wenn die Kohle unter Lützerath noch verfeuert wird. Die Zahlen für diese Studie stammen von RWE selbst sowie vom Sachverständigenrat für Umweltfragen der deutschen Bundesregierung [5]. „Deutschland bricht das demokratisch beschlossene Pariser Klimaabkommen, wenn Lützerath tatsächlich abgebaggert werden sollte“, so Natrup weiter.

DURCH HILFERUF ERWECKTES INTERESSE RETTET DAS KLIMACAMP

Nach dem Beschluss des gestrigen Plenums geht es mit dem Klimacamp nun doch weiter. Entscheidenden Anteil an der Entscheidung, das Klimacamp weiterzuführen, hatte der durch den öffentlichen Hilferuf verursachte Zulauf. „Die vergangenen Tage führten uns noch mal deutlich vor Augen, wie wichtig vielen Augsburger*innen das Klimacamp ist. Der Rückhalt, den wir von vielen Menschen in Augsburg bekommen, hatte uns die ganze Zeit schon immer wieder motiviert. In den letzten Tagen kam es nun immer wieder vor, dass jemand von der Unterstützung durch nette Worte und Plätzchengeschenke weiter dazu überging, selbst aktiv zu werden. Wir würden uns wünschen, dass sich noch viel mehr Leute diesen Ruck geben. Was die Welt braucht, ist ein Augsburg mit 300.000 Klimaaktivist*innen!“, so Blechschmidt.

Nun sind auch neue Aktionen und Inhalte gefragt. Geplant sind erstmal ein Aktionstraining für Lützerath am 31.12.2022 um 14 Uhr [6] sowie ein umfangreicher Jahresrückblick, mit dem am 1. Januar das Tagebuch des neuen Jahres auf der Webseite des Klimacamps eingeleitet werden soll.

Das Ergebnis des Plenums bedeutet noch nicht, dass die Zukunft des Klimacamps sicher ist. Es herrscht aber derzeit wieder mehr Zuversicht, als es noch vor Weihnachten der Fall war. Natrup: „Wir haben internen und externen Herausforderungen zu begegnen und müssen dringend daran arbeiten, neuen Menschen den Einstieg bei uns zu erleichtern und auch für alle Klimacamper*innen eine attraktive Dauerdemonstration zu sein. Zu gegebener Zeit werden wir uns zusammensetzen und erneut diskutieren, ob uns das gelungen ist.“

[1] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/luetzerath-111.html
[2] https://www.klimacamp-augsburg.de/informationen/artikel/klimacamp/funktionen/
[3] https://heinsberg-magazin.de/2022/12/29/raeumung-von-luetzerath-stuetzt-sich-auf-verfassungswidrigen-paragraphen-nrw-umweltminister-krischer-da-wurde-eine-unwahrheit-in-ein-gesetz-geschrieben/
[4] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf
[5] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.pdf?__blob=publicationFile&v=30, Tabelle 1 auf Seite 8, Zeile „Maximale CO₂-Budgets ab 2022 in Gt“, Spalte „1,5 67%“. Das sind 2 Gt CO₂, also 2.000 Mt CO₂. Davon stehen 20% für die Kohleverstromung zur Verfügung (SRU 2017), macht 400 Mt CO₂. Unter Lützerath liegen 280 Mt Braunkohle. Pro verbrannter Tonne Braunkohle entstehen 3,25 Tonnen CO₂. Macht 910 Mt CO₂ insgesamt, mehr als das Doppelte der 400 Mt CO₂.
[6] https://www.klimacamp-augsburg.de/pressemitteilungen/2022-12-30-vorbereitung-auf-luetzerath/