Pressemitteilung des Augsburger Klimacamps am 8.11.2023

Augsburger Mathematiker und Klimaaktivist feiert Erfolg vor Gericht

Eben endete die mündliche Hauptverhandlung.

Ergebnis: Volle Einstellung aller Vorwürfe, auf Staatskosten, ohne Auflagen.

Begründung des Richters: Der Protest war friedlich und letztlich erfolgreich.

Blechschmidt:

„Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich damals meinen Teil zur Rettung des Forsts Kasten beitragen konnte – aufbauend auf Jahren wertvoller Vorarbeit engagierter Anwohner*innen, die selbst dann nicht aufgaben, als die Rettung des Walds unmöglich schien. Vielleicht ist es das beste, was ich in meinem Leben je gemacht habe und gemacht haben werde.

Der Protest im Forst Kasten ist ein wertvoller Schatz, denn er zeigt besonders deutlich, dass Widerstand wirkt. In anderen Fällen zeigen sich Erfolge erst über die Zeit hinweg, in Form von Diskursverschiebung. In diesem Fall aber ist die Rettung des Walds ganz klar auf den Widerstand aus der Zivilgesellschaft zurückzuführen.

Ich bin froh, dass sich der Richter von dem damaligen massiven Polizeiaufgebot, den Hundertschaften, den Polizei-Hubschraubern und der nur knapp abgewendeten vierwöchigen Präventivhaft nach Polizeiaufgabengesetz nicht beeindrucken ließ und neutral auf die Sache blickte. Der Protest im Forst Kasten war von der Versammlungsfreiheit gedeckt.

Leider sind andere Wälder weiterhin rodungsbedroht, so auch der Lohwald bei Langweid und Biberbach. Vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht anhängige Normenkontrollklagen, mit dem derzeit die Rechtswidrigkeit des Rodungsvorhabens überprüft wird, konnte die Regierung von Schwaben im Oktober letzten Jahres nicht davon abhalten, mit einer Ausnahmegenehmigung der vorgezogenen Rodung Tür und Tor zu öffnen. Die Mittel des Rechtsstaats haben in diesem Fall versagt. Daher ist weiterhin zivilgesellschaftlicher Widerstand erforderlich – der Rechtsstaat wird es nicht allein schaffen, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Zum Glück fragen sich immer Menschen, wie sie klimaaktivistisch aktiv werden können.“

Pressemitteilung des Augsburger Klimacamps am 7.11.2023

Widerstand wirkt – erfolgreicher Protest im Forst Kasten: War die polizeiliche Räumung rechtswidrig? Muss sich Oberbürgermeister Reiter vor Gericht erklären?

Die Letzte Generation gründete sich erst sechs Monate später: Mehr als zwei Jahre nun ist es her, dass Bürger*innen im Forst Kasten bei München Baumhäuser errichteten und so für den Erhalt der beliebten grünen Lunge protestierten [1-12]. Die Polizei beendete zwei Male mit einem Großaufgebot den zielgenauen Protest, doch der aufgebaute öffentliche Druck zeigte dennoch Wirkung: Hatte zuvor die grün-rote Rathauskoalition noch für die Rodung des Naherholungsgebiets gestimmt, ruderte Oberbürgermeister Reiter später zurück, nahm von dem umstrittenen Rodungsvorhaben Abstand [24-30]. Diesen Donnerstag (9.11.2023 14:00) beginnt vor dem Münchner Amtsgericht (Sitzungssaal BZ 64, Nymphenburger Str. 16) die rechtliche Aufarbeitung der polizeilichen Räumung.

Angeklagt ist der Augsburger Mathematiker Dr. Ingo Blechschmidt (35, Mitgründer des Augsburger Klimacamps), der insgesamt vier Nächte im Forst Kasten verbrachte und in dieser Zeit seine Vorlesungen aus dem Baumhausdorf über Zoom hielt. Blechschmidt wurde nach der Räumung inhaftiert, entkam nur um Haaresbreite einem vierwöchigen Gewahrsam nach Polizeiaufgabengesetz (Süddeutsche berichtete [1], siehe auch [31]) – eine Haftrichterin befand darüber nach kurzer Anhörung, ohne Anklageerhebung oder Hauptverhandlung. Diese findet erst diese Woche statt, zwei Jahre nach dem Protest. Vorgeworfen wird Blechschmidt ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Die behördliche Verlegung des Versammlungsorts weg von der anvisiertn Rodungsfläche sei unter anderem aus Gründen des Naturschutzes erforderlich, um Beschädigungen von Pflanzen zu vermeiden, hieß es damals im Bescheid des Münchner Landratsamts (Volltext auf Anfrage). Dieser Verlegungsaufforderung kam Blechschmidt nicht nach.

Waldbesetzungen unter Mitarbeit von Anwohner*innen und Wissenschaftler*innen gibt es in Deutschland immer wieder [13]. Die vermutlich bekannteste ist die Besetzung des Hambacher Walds im Rheinischen Braunkohlerevier, die 2018 im vom OVG Münster erklärten Rodungsstopp mündete [14]. „Zum Waldschutz direkt in den betroffenen Wäldern zu demonstrieren, ist zielgenau und stimmig“, erklärt Blechschmidt. Rückenwind erhält diese Protestform oftmals von Gerichten. Etwa urteilte das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, dass eine große Waldbesetzung zum Schutz gegen einen neuen A14-Abschnitt von der Versammlungsfreiheit gedeckt war [15]. „Unser Protest störte nur Rodungspolitiker, sonst niemanden“, erklärt Blechschmidt.

„Das Vorhaben ist schon zu weit vorangebracht, um noch etwas zu ändern“, hatte vor dem erfolgreichen Protest Bezirksausschussmitglied Alexander Aichwalder resigniert erklärt [16]. Vergeblich hatte vor dem erfolgreichen Protest auch der ÖDP-Fraktionsvorsitzende Tobias Ruff seine Kolleg*innen im Münchner Stadtrat aufgefordert: „Trauen Sie sich, stimmen Sie dagegen!“ [17] Doch bis auf ÖDP und Linke sprachen sich damals alle Fraktionen für die Rodung des Forsts aus. Obwohl das Vorhaben von Anfang an auf sehr schwachen Füßen stand und die Stadt daher alle anfallenden Bußgelder übernehmen soll, wie Linke-Stadtrat Thomas Lechner in einem Antrag vom September erklärt [18].

„Die erfolgreiche Rettung des Forsts Kasten zeigt: Widerstand wirkt“, so Blechschmidt. „Wir sind die geänderten Rahmenbedingungen“, erklärte Blechschmidts Mitstreiterin Lisa Poettinger [19] mit Blick auf die nebulöse Begründung von Oberbürgermeister Reiter, mit der er von dem Rodungsvorhaben Abstand nahm [23]. Doch trotzdem seien in diesem Zusammenhang noch einige Fragen offen, weswegen Blechschmidt in seiner Verhandlung Reiter als Zeuge befragen möchte: Wieso kam Reiters Kurskorrektur zur Waldrettung so spät? Wieso wurden die Rodungsverträge unterzeichnet, bevor sich der Sozialausschuss mit ihnen befassen konnte? [20] Wieso war der zivile Widerstand nötig, um Reiter von der Waldrettung zu überzeugen? Weil Blechschmidt sich nicht nur auf die Versammlungsfreiheit, sondern auch auf den rechtfertigenden Notstand berufen werde (§ 34 StGB), seien diese Fragen von zentraler Bedeutung für das Verfahren.

Hinweis zur Chronologie

Der erfolgreiche Widerstand gegen die Rodung des Forst Kasten wurde primär und über viele Jahre hinweg von verschiedenen Bürgerinitiativen geführt, u.a. dem Grünzug-Netzwerk Wurmtal e.V. und Wald-Neuried-Erhalten, sowie dem BUND Naturschutz, Greenpeace, dem Elternverband „Parents for Future“ und weiteren Initiativen. Auf diese erhebliche Vorarbeit baute der Baumhausprotest im Mai 2021 auf. Insgesamt gab es zu dem Thema mehr als 100 Zeitungsartikel in lokalen und überregionalen Medien [21]. Auch Quer berichtete (Reportage vom 10.6.2021).

Zusätzlich zu organisierten Waldspaziergängen und Demonstrationszügen gab es die folgenden Protestaktionen:

  • Am 18.5.2021 gab es einen ersten Versuch, nach dem Vorbild des Hambacher Walds den Forst Kasten zu besetzen. Aufgrund eines frühzeitigen Berichts eines Lokalfernsehsenders war die Polizei vor Ort, bevor wir auf den Bäumen waren.

  • In der Nacht vom 20.5.2021 auf den 21.5.2021 unternahmen wir den nächsten Versuch. Weil uns ein Polizeihubschrauber entdeckte, mussten wir auch diesen Versuch umgestalten. Diese Aktion endete schlussendlich in einer mehrere Monate andauernden Dauermahnwache im Wald, also einem mehrere Monate bestehendem Wald-Klimacamp.

  • Am 8.6.2021 unternahmen wir, parallel zu der Dauermahnwache, den dritten Versuch. Dieser war erfolgreich: Für zwei Tage und Nächte protestierten wir aus unseren provisorischen Baumhäusern in zehn Meter Höhe, schufen eine Art „kleiner Hambi“. Diese Besetzung war die erste Waldbesetzung in Bayern. Die Behörden beendeten sie mit einem Großaufgebot des SEK. Bei dieser Aktion entstand auch das BJV-Pressefoto des Jahres in der Kategorie „Umwelt & Energie“ [22].

  • Am 18.6.2021 gab es dann unseren vierten und letzten Versuch, auch der war erfolgreich. Wieder bauten wir in zehn Meter Höhe provisorische Baumhäuser. Nach der Räumung kam Blechschmidt in Haft, vier Wochen hätten es sein sollen, „zur Gefahrenabwehr“ nach Polizeiaufgabengesetz.

Referenzen

[1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-umweltschuetzer-1.5331295
[2] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-baeume-aktivisten-polizei-1.5327554
[3] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/forst-kasten-neuried-planegg-rodung-klimaaktivisten-1.5298528
[4] https://www.sueddeutsche.de/bayern/muenchen-forst-kasten-baumbesetzung-raeumung-1.5316492
[5] https://www.br.de/nachrichten/bayern/klimaaktivisten-besetzen-waldstueck-im-sueden-von-muenchen,SXmRlda
[6] Quer-Reportage vom 10.6.2021
[7] https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/wieder-besetzt-aktivisten-erneut-in-forst-kasten-art-736540
[8] https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/gegen-die-rodung-von-forst-kasten-aktivisten-besetzen-wald-art-728826
[9] https://www.merkur.de/lokales/wuermtal/neuried-ort29132/aktivisten-protestieren-im-forst-kasten-90653016.html
[10] https://www.tz.de/muenchen/stadt/hallo-muenchen/muenchen-wuermtal-demonstration-kiesabbau-lochhamer-schlag-forst-kasten-umwelt-schutz-92542524.html
[11] https://www.tz.de/muenchen/stadt/frieden-im-forst-kasten-zr-91544224.html
[12] https://lora924.de/2021/12/15/forst-kasten-es-ist-nicht-vorbei/
[13] https://taz.de/Waldbesetzungen-in-Deutschland/!5776091/
[14] https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/rodungsstopp-hambacher-forst-102.html
[15] https://www.sueddeutsche.de/panorama/justiz-magdeburg-ovg-entscheidet-zugunsten-von-waldbesetzern-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210702-99-234669
[16] https://www.hallo-muenchen.de/muenchen/wuermtal/muenchensued-westwuermtal-kiesabbau-forst-kasten-protest-weitet-sich-muenchen-12992508.html
[17] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-rodung-entscheidung-1.5299409
[18] https://ru.muenchen.de/pdf/2023/ru-2023-09-20.pdf#page=29
[19] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-kiesabbau-vertragsaufloesung-1.5908656
[20] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-kiesabbau-streit-1.5357405
[21] https://www.google.com/search?q=forst+kasten&sca_esv=580067936&tbm=nws
[22] https://www.bjv.de/pressefoto21
[23] https://ru.muenchen.de/2023/107/Pachtvertrag-einvernehmlich-aufgehoben-Doch-kein-Kiesabbau-in-Forst-Kasten-107369
[24] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-forst-kasten-kiesabbau-vertragsaufloesung-1.5908656
[25] https://www.br.de/nachrichten/bayern/forst-kasten-doch-kein-kiesabbau-im-wald,TgVcPRd
[26] https://www.tz.de/muenchen/stadt/hallo-muenchen/kiesabbau-forst-kasten-muenchen-pachtvertrag-stiftungswald-kiesbauunternehmen-reiter-kies-92328304.html
[27] https://www.merkur.de/lokales/wuermtal/neuried-ort29132/kein-kiesabbau-im-forst-kasten-92330592.html
[28] https://www.tz.de/muenchen/stadt/hallo-muenchen/wuermtal-forst-kasten-grube-kies-abbau-projekt-kippe-umwelt-natur-schuetzer-feier-gruene-92340726.html
[29] https://www.merkur.de/lokales/wuermtal/neuried-ort29132/wir-haben-noch-weitere-kampfplaetze-92349266.html
[30] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/hoehenkirchen-siegertsbrunn-forst-kasten-kiesabbau-gruene-landtag-1.5981043
[31] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Augsburg-Eine-Nacht-in-der-Zelle-reicht-Warum-ein-Klimaaktivist-nicht-gegen-die-IAA-protestiert-id60502956.html\