Die Funktionen des Klimacamps
veröffentlicht am 29. Dezember 2022 (zuletzt überarbeitet am 8. August 2024)
Von Zeit zu Zeit müssen wir abwägen, ob der enorme Aufwand, den der Betrieb des Klimacamps erfordert, gerechtfertigt ist. Dazu ist es ganz sinnvoll, wenn wir uns in Erinnerung rufen, welche Vorteile wir durch das Klimacamp genießen und welche Funktionen das Klimacamp in der Stadt erfüllt.
Sechs wichtige Kernfunktionen
Was das Augsburger Klimacamp so wertvoll macht:
- Das Klimacamp genießt als Versammlung einen besonderen Schutz.
- Das Klimacamp fördert Weiterbildung.
- Das Klimacamp übt allein durch seine Präsenz einen ständigen Druck auf die Politik aus.
- Das Klimacamp schafft uns Legitimität und Respekt, was dazu führt, dass das Klimacamp um Stellungnahmen gebeten wird und Vertreter*innen des Klimacamps zu Podiumsdiskussionen und anderen Events eingeladen werden und dort reden dürfen.
- Das Klimacamp fördert Vernetzung.
- Das Klimacamp fördert Klimakommunikation über die Grenzen der eigenen Filterblase hinaus.
1) Status als Versammlung
Der Schutz, den das Klimacamp als Versammlung genießt, erlaubt es beispielsweise am Klimacamp Dinge frei von Miete zu lagern. Mit dem Klimacamp haben wir einen Ort, an dem wir uns immer treffen/versammeln können. Wir sind auch relativ frei. Niemand kann aus politischen Gründen Druck auf unsere*n Vermieter*in ausüben, den Vertrag mit uns beenden oder unsere Möglichkeiten einschränken. Wir müssen niemandem gefallen, um hier bleiben zu können. Das Camp ist so über die Zeit ein wichtiges Zentrum geworden.
2) Weiterbildung
Der Klimacamp bietet eine große Auswahl an Workshops und Vorträgen. Bei uns kann man sich über die wissenschaftlichen Grundlagen der Klimakrise genauso informieren wie darüber, welche Körperhaltung man einnehmen sollte, wenn man sich von der Polizei wegtragen lässt. Wir geben Kletterkurse und erklären wie Pressearbeit funktioniert. Einige Teile der Inhalte unseres Workshop- und Vortragsprogramms haben wir inzwischen als Artikel auf unserer Webseite veröffentlicht.
3) Druck auf Politik
Wie wir auch im Artikel über Konsumkritikkritik dargelegt haben, ist die Politik der beste Adressat, wenn man Veränderung fordert. Das Klimacamp übt konstanten Druck auf die Politik aus. Warum ist das wichtig?
Man könnte annehmen, dass es ausreicht so lange Wirbel zu machen, bis der Stadtrat etwas beschließt. Tatsächlich haben Stadtratsbeschlüsse aber kaum einen Wert. Von ihnen geht keine bindende Wirkung aus.
Beispiele:
- 2007 beschloss der Stadtrat, dass 30% der Lebensmittel in städtischen Kantinen und 100% der Lebensmittel auf städtischen Veranstaltungen aus biologischem Anbau seien sollten.
Das blieb ohne Wirkung, denn der Beschluss wurde nie umgesetzt. - 2009 beschloss der Stadtrat, den Anteil an Recyclingpapier in der eigenen Verwaltung bis 2010 auf 75% zu erhöhen.
Ergebnis: Selbst 2017 hatte Recyclingpapier in Augsburg gerade einmal einen Anteil von 48% erreicht. Das war damals der letzte Platz unter allen bayerischen Großstädten. - 2012 beschloss der Stadtrat „Fahrradstadt 2020“.
Das war ein totaler Reinfall. Fahrradfahren in Augsburg blieb vielerorts unangenehm und gar gefährlich. Immer wieder verunglücken Fahrradfahrer*innen. 2020 war Augsburg nicht wesentlich fahrradfreundlicher als 2012. Dieser Frust führte zur Gründung des Aktionsbündnisses „Fahrradstadt jetzt“, welches nach einer sehr erfolgreichen Unterschriftensammlung die Stadt in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zu verschiedenen Maßnahmen verpflichtete. - Januar 2021 beschloss der Stadtrat nach den Bleibeverhandlungen mit dem Klimacamp im Dezember 2020 ein regelmäßiges Dialogformat zwischen Klimagerechtigkeitsbewegung und Stadt einzurichten.
Dieses Dialogformat konnte erst 2023 endlich starten. Dafür musste die Stadt aber durch uns an ihren Beschluss erinnert werden.
Nachdem die Stadt eine Sache beschlossen hat, sollte man sich also keinesfalls einfach zurücklehnen. Im Gegenteil beginnt dann die Phase, in der man besonders wachsam seien muss.
Seit der Gründung des Klimacamps weiß die Stadt, dass wir ihr Untätigkeit nicht länger durchgehen lassen. Wenn wir den Eindruck erhalten, dass die Stadt bei einer Sache hinter ihre eigenen Zusagen zurückfällt, dann thematisieren wir das am Klimacamp und machen gegebenfalls die Öffentlichkeit über Aktionen auf diesen Missstand aufmerksam. Manchmal sind es auch Passant*innen, die uns erst auf einen derartigen Missstand aufmerksam machen.
Sogar der ein oder andere CSU-Stadtrat hat schon mal erzählt, dass es Druck aus der Zivilgesellschaft – unter anderem durch das Klimacamp – ist, welcher die Stadt beim Thema Klimaschutz in Bewegung hält.
Wir denken, dass die Stadt vielleicht ihren langsam schlurfenden Gang durch einen zügigeren Gang ersetzt hat. Als Trab oder gar Galopp kann man die Geschwindigkeit der Stadt in Sachen Klimagerechtigkeit noch nicht ansehen. Vieles geht, gemessen an dem Zeitdruck, den die Kippelemente im Klimasystem herstellen, immer noch viel zu langsam. Hier gibt es noch Nachbesserungsbedarf für die Stadt und die Möglichkeit für uns als Zivilgesellschaft durch zielgerichteten stärkeren Druck Gutes zu bewirken.
4) Legitimität und Respekt
Es gibt in Augsburg viele aktive Gruppen, die tolle Sachen machen und Sinnvolles zu sagen haben. Es ist aber vor allem das Klimacamp, welches in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Manchmal haben wir ein schlechtes Gewissen, weil wir um eine Stellungnahme gebeten oder zu einer Podiumsdiskussion eingeladen werden anstatt der eigentlichen Expert*innen. Dann versuchen wir beispielsweise die Baumallianz oder Greenpeace oder wer auch immer sich in dem jeweiligen Teilgebiet gut auskennt als Expert*innen hinzuzuziehen.
Eventuell sind es unsere hierarchiearme Organisationsstruktur und kurzen Kommunikationskanäle, die dafür sorgen, dass schon irgendjemand vom Klimacamp zeitnah auf eine derartige Anfrage reagiert oder sich freiwillig für die Podiumsdiskussion meldet. Wir versuchen den Bedarf an Stellungnahmen und Gesprächspartner*innen zu decken.
Vielleicht ist es auch der konfliktbeladene Ruf des Klimacamps mit seinen Unterstützer*innen und eingefleischten Kritiker*innen, den man an uns schätzt.
5) Vernetzung
Das Klimacamp fördert Vernetzung. Das betrifft zum einen klimaaktivistische Gruppen. Es betrifft aber auch Vernetzung zwischen verschiedenen anderen Akteuren der Zivilgesellschaft.
Klimagerechtigkeitsaktivist*innen aus ganz Süddeutschland waren schon am Klimacamp. Zu vielen besteht weiterhin Kontakt. Das Klimacamp unterstützte auch bei der Gründung von anderen klimagerechtigkeitsaktivistischen Gruppen. Diese sind in verschiedenen Städten Deutschlands teilweise bis heute und inzwischen unabhängig von uns aktiv.
6) Klimakommunikation
Das Klimacamp sorgt für Berührungspunkte zwischen der Klimagerechtigskeitsbewegung und der breiteren Bevölkerung. Nachrichten über die aufkeimende Klimakatastrophe kann man noch richtig gut verdrängen. Viele Menschen schauen keine Nachrichten. Viele Menschen lesen nur die Nachrichten, die ihr eigenes Weltbild bestätigen. Das Klimacamp bricht diesen Filter auf, denn es ist für alle Menschen im Zentrum Augsburgs wahrnehmbar. Das Klimacamp ruft allein durch seine Existenz Menschen am Rathausplatz das Thema ins Bewusstsein. Die Hürde zum Gespräch über das Thema ist gering.
Dieser Berührungspunkt funktioniert in beide Richtungen. Die Klimagerechtigkeitsbewegung erreicht über das Klimacamp Menschen, die auf anderem Wege nur schwer zu erreichen sind. In die andere Richtung ist es eine Gelegenheit zu verstehen, welche Ängste und Sorgen die Bürger*innen umtreiben und wo weiterer Informationsbedarf besteht. Durchschnittliche Bürger*innen kommen selten zu Wort. In der eigenen Filterblase der sozialen Medien hat man es vorwiegend mit Menschen zu tun, welche die eigene Meinung teilen. Kritik kommt vorwiegend von Trollen, die im Internet, beispielsweise in den Kommentarspalten von Zeitungen, ihr Unwesen treiben. Die Stimme der breiten Masse ist dagegen überdurchschnittlich leise. Die Gespräche mit Bürger*innen am Klimacamp helfen dabei, diese Menschen zu verstehen, und erlauben es, die eigenen Argumente und Positionen nachzuschärfen.
Damit das funktioniert, müssen am Klimacamp Menschen anwesend sein, die in der Lage und gewillt sind, derartige Gespräche mit Passant*innen zu führen. Gerade in den ersten Monaten war das nahezu 24 Stunden am Tag 7 Tage die Woche der Fall. Zwischenzeitlich herrschte am Klimacamp auch mal eine Stimmung, die nicht gerade zum Gespräch einlädt.
Klimakommunikation ist eine wichtige Aufgabe. Dem Thema Klimakommunikation sind in der Studie Klimaschutz 2030: Studie für ein Augsburger Klimaschutzprogramm (umgangssprachlich KlimaKom-Studie) Kapitel 9 sowie Anhang IV gewidmet. Es ist eine Sache, die sich die Stadt über das Büro für Nachhaltigkeit sogar Geld kosten lässt. Das Klimacamp macht das in jedem Fall kosteneffektiver. Eventuell ist das Klimacamp darin sogar besser als das Büro für Nachhaltigkeit. Denn neben direkten Gespräch mit Passant*innen, werden über das Klimacamp auch Ereignisse organisiert, welche Forderungen, Inhalte und wissenschaftliche Hintergründe in die Medien bringen.
Fazit
Das Klimacamp erreicht all diese genannten Vorteile in ihrer einzigartigen Kombination. Wie gut das Klimacamp diese Funktionen ausführt, ist Schwankungen unterworfen. Wir hatten Phasen, in denen wir der Stadt eine Menge haben durchgehen lassen, und Phasen, in denen die Stadtregierung durch uns gut unter Druck stand. Wir hatten Phasen, in denen gerade niemand am Camp so wirklich Lust auf Gespräche hatte, und Phasen, in denen die Kommunikationen mit Passant*innen hervorragend lief. Das Klimacamp sollte aber beständig anstreben, die hier genannten Funktionen für Augsburg möglichst gut zu erfüllen.
Alternativen
Braucht es das Klimacamp tatsächlich, um die genannten Funktionen in Augsburg zu erfüllen? Geht es nicht auch irgendwie anders?
Der besondere Status als dauerhafte Versammlung kann wohl nicht auf anderem Wege ersetzt werden, aber er ist womöglich für guten Klimagerechtigkeitsaktivismus in Augsburg auch verzichtbar.
Weiterbildung kann man auch abseits des Klimacamps ganz gut machen. Vorträge, Workshops und Aktionstraining gab es in Augsburg schon vor dem Klimacamp, wenn auch in weit geringerem Umfang.
Für Druck auf die Politik braucht man nicht zwingend ein Klimacamp. Die ständige Präsenz hilft aber deutlich.
Wahrscheinlich könnte man auch abseits des Klimacamps Strukturen etablieren, die im Interesse der Klimagerechtigkeit mit Stellungnahmen und Teilnahmen an Podiumsdiskussionen aktiv an der Stadtpolitik teilhaben. Diese Strukturen müssten von Medien und anderen Akteur*innen als Ansprechpartner*in für Klimagerechtigkeit akzeptiert und geschätzt werden. Leicht würde es nicht werden, aber es wäre möglich.
Das Klimacamp als Ort der Vernetzung könnte nur sehr schwer durch ein anderes Format ersetzt werden. Wir haben schon mitbekommen, wie Vernetzungsversuche anderer Klimagerechtigkeitsgruppen in Augsburg fehlgeschlagen sind, weil sich der staatliche Veranstaltungsort plötzlich quer gestellt hat.
Was das Klimacamp wirklich nahezu unersetzbar macht, ist die Nähe zu den Bürger*innen – insbesondere solchen, die nicht von sich aus nach Informationen über die Klimathematik suchen.
Experimente mit alternativen Protestformen
Der Text entstand überwiegend Ende 2022, als über ein mögliches zeitnahes Ende des Camps nachgedacht wurde. Erst eineinhalb Jahre später wurde das Augsburger Klimacamp Ende Juli 2024 schließlich abgebaut und die ihm zugrunde liegende Veranstaltung pausiert. Am 8. August 2024 fand in Augsburg das erste Pop-up-Klimacamp statt. Mit Formaten wie diesem experimentieren wir, inwieweit wir Vorteile eines Klimacamps auch ohne die Belastung einer 24/7-Dauerbesetzung erhalten können.
– Klimacamp Augsburg (https://augsburg.klimacamp.eu alias https://www.klimacamp-augsburg.de/)
Dieser Artikel steht unter der Lizenz Creative Commons BY 4.0.
Dieser Artikel dient als Diskussionsgrundlage für anhaltende Diskussionen über das Klimacamp.