Zum 100-tägigen Bestehen des Klimacamps
Eines meiner Lieblingszitate stammt von Axel Mayer, dem damaligen Geschäftsführer von BUND, aus einem Zeit-Interview. Es geht wie folgt: „Als wir damals im Wyhler Wald standen und erneuerbare Energien als Alternative zur Atomkraft vorstellten, wurden wir als Spinner bezeichnet. Als wir gegen die ungeklärten Abwässer der Papierfabrik vorgingen, wurden wir von Fabrikbesitzern und auch von Arbeitnehmern kritisiert, weil wir Arbeitsplätze gefährden. Als wir sagten, dass Kraftwerke entschwefelt werden müssen, um den Wald zu retten, hieß es, das sei der Niedergang der deutschen Wirtschaft, die dann nicht mehr konkurrenzfähig sei. Und dann mit 20 Jahren Verspätung hieß es: Das war eigentlich ganz gut.“
Quelle: https://www.zeit.de/die-antwort/2019-03/umweltaktivismus-klimaschutz-energiewende-protestaktion/seite-3
Das Zitat zeigt auf, welchen wertvollen Beitrag Aktivismus in der Vergangenheit zur Entwicklung der Gesellschaft beigetragen hat. Vieles von dem, was wir heute als normal empfinden, wie beispielsweise Frauenwahlrecht, Kläranlagen und Abgasfilter, geht auf den Aktivismus von Personen zurück, die zu ihrer Zeit als Spinner oder Störenfriede verunglimpft wurden. Viele erahnen auch heute, dass die Gesellschaft und Wirtschaft der Zukunft CO₂-neutral seien wird. Das Frustrierende ist die quälende Langsamkeit auf dem Weg dorthin. Denn die Frage ist nicht das Ob und auch nicht das Jahr. Die relevante Frage ist, wie viel CO₂ aus fossilen Quellen bis zum Moment der Klimaneutralität in die Atmosphäre und die Ozeane gelangt sein wird.
Der Schaden durch ungeklärte Abwässer war groß, aber zu großen Teilen ist er bereits heute behoben. Ein paar Fischarten gehören der Geschichte an. So starb beispielsweise der Bodensee-Kilch aller Wahrscheinlichkeit nach aus. Aber viele Gewässer haben sich bereits nach wenigen Jahrzehnten erholt. Bei der Klimaerhitzung sind die Schäden viel beständiger. Selbst, wenn wir sofort in diesem Moment aufhören würden, CO₂ auszustoßen, würden sich viele Warmwasserkorallenriffe nicht in den kommenden Jahrzehnten erholen. Selbst dann würden wir auch in Zukunft häufiger als noch vor wenigen Jahrzehnten von Waldbränden, Dürren, Überschwemmungen, Hitzetagen und ähnlichen Extremwetterereignissen geplagt werden. Kippelemente im Klimasystem, die einmal gerissen werden, können nicht repariert werden. Das Frustrierende am Klimaaktivismus ist, dass es nicht um die Behebung von Schäden sondern nur um Schadensbegrenzung geht. Es ist auch der Grund, warum Klimaaktivismus wichtig und notwendig ist.
Ich bin mir sicher, dass es in einigen Jahrhunderten oder vielleicht schon Jahrzehnten absolut normal seien wird, beim Gedanken daran, dass jemand fossile Energieträger verbrennt um damit Strom zu erzeugen oder sich fortzubewegen, ein angewidertes Gefühl zu haben, so wie wir heute ein angewidertes Gefühl haben, wenn wir an verschiedene Praktiken der Vergangenheit denken. Nur wie lange wird es noch dauern? Was wird bis dahin zerstört sein?
Das führt mich zu der Arbeit des Augsburger Klimacamps. Hier in Deutschland sind nicht die Klimawandelleugner das Problem. Sie sind nicht mehrheitsfähig und ihre Argumente sind seit über 10 Jahren widerlegt. Eine Zielgruppe des Camps sind Entscheidungsträger wie Politiker und Firmenchefs. Die größere Herausforderung besteht jedoch darin die Personen, denen es schwer fällt sich anzupassen, zu gewinnen. Dazu zählt die bürgerliche Mitte. Klimaaktivismus richtet sich vor allem an Personen, denen die Klimakatastrophe ein Begriff ist, die sich aber der Größe und Vordringlichkeit des Themas nicht in dem Maße bewusst sind, dass es bereits für ihr eigenes Konsum- und Wahlverhalten ausschlaggebend ist. Das Klimacamp ist mit seiner ständigen Präsens ein Mahnmal für das Thema. Es veranschaulicht die Wichtigkeit des Themas dadurch, dass Menschen bereit sind einen großen Teil ihrer Freizeit für seine Aufrechterhaltung aufzuwenden.
Das Klimacamp hat meine Annahmen und Hoffnungen übertroffen. Herzlichen Dank an all diejenigen, die mal im Klimacamp übernachtet haben oder übernachten, die für das Klimacamp Gespräche mit Passantinnen und Passanten gesucht haben, die mit Aktionen auf das Thema aufmerksam gemacht haben, die in Vorträgen über das Thema informiert haben, die für das Camp gekocht haben, die mit Geld- und Sachspenden oder Leihgaben, wie Schlafsäcken und Zelten, oder auf andere Art und Weise durch ihren Einsatz zum Erfolg des Camps beigetragen haben! Wenn man vor Ort im Camp ist, sieht man meist nur die Spitze des Eisberges an Menschen, die das Camp möglich gemacht haben.
Herzlichen Glückwunsch zu 100 Tagen Augsburger Klimacamp!
– Moritz
Der Text entstand im Oktober 2020. Damals wurde er der Augsburger Allgemeine zugespielt, die ihn in dieser Form nicht abdrucken wollte. Veröffentlicht wurde er daher erst am 30. Juli 2024 über die Webseite des Klimacamps.